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Wie die Pandemie die Digitalisierung vorantreibt
Wir gehen davon aus, dass die COVID-19-Pandemie den Trend zur Digitalisierung stark beschleunigen wird, woraus sich enorme Chancen für Finanztechnologieanbieter – sogenannte FinTech-Unternehmen – ergeben werden. Unsere FinTech1-Strategie basiert auf fünf Schlüsseltrends die unserer Meinung nach das zukünftige Wachstum der Branche antreiben werden. Diese wichtigen Trends – von der Zunahme des elektronischen Zahlungsverkehrs bis zum Bedarf an Internet-Sicherheit – bestanden zwar bereits vor Ausbruch der Pandemie dürften jedoch nach unserer Einschätzung weiter an Boden gewinnen.
Die Pandemie beschleunigt den sozialen Wandel. So ist beispielsweise eine eindeutige Bevorzugung elektronischer Zahlungsmittel festzustellen, weil der Online-Handel boomt und die traditionellen Geschäfte aus Hygienegründen bargeldlose Zahlungen vorziehen. Infolge der Schliessung von Bankfilialen wächst auch der Anteil anderer Online-Finanzdienstleistungen, wie Hypothekarkredite und Vermögensverwaltung, immer schneller.
Mit dem Anlaufen der nächsten Runde der quantitativen Lockerung, kommt auch das Thema der offiziellen, von Zentralbanken ausgegebenen Kryptowährungen wieder auf den Tisch. Zudem senkte COVID-19 die Bewertungsschwelle für Fusionen und Akquisitionen und erstmals werden Dienstleistungen von FinTech-Unternehmen in den USA zur Auszahlung von Steuerrückerstattungen in Anspruch genommen.
Hochkonjunktur für Zahlungsdienste
Anbieter von Zahlungsdiensten machen einen grossen Teil des Anlageuniversums unserer Strategie aus und stellen rund ein Drittel der investierbaren Unternehmen aus dem Kreis der börsengehandelten FinTechs dar. Das Anlageuniversum umfasst auch die Bereiche persönliche Finanzplanung (Robo-Advice), digitale Infrastruktur (vollelektronische Börsen und Market Maker), Finanzmanagement-Software, Effizienzanbieter (Unternehmen, die Softwarelösungen für Finanzgesellschaften bereitstellen, damit sie in der digitalen Finanzwelt wettbewerbsfähig bleiben können) und Internet-Sicherheit (Software- und Versicherungsgesellschaften, die spezielle Cybersecurity-Produkte für den Finanzsektor anbieten).
Abbildung 1: Das investierbare FinTech-Universum
Digitale Zahlungen verdrängen das Bargeld
Wir gehen davon aus, dass der starke Trend zu digitalen Zahlungen zunehmen und das Bargeld verdrängen wird. Die jährliche Zunahme der digitalen Zahlungsmittel in den kommenden fünf Jahren wird weltweit auf rund 15 Prozent geschätzt. Im Vergleich dazu wächst der Bargeldverkehr um rund 1 bis 2 Prozent pro Jahr. Somit werden die digitalen Zahlungen einen grösseren Anteil des gesamten Zahlungsverkehrs ausmachen als Zahlungen mit Bargeld. Das bedeutet jedoch kein negatives Wachstum des Volumens der Barzahlungen.
Wir glauben, dass COVID-19 die Entwicklung in diesem Bereich erheblich beeinflussen wird. In Grossbritannien zum Beispiel wurde im März 2020 über 60% weniger Bargeld an Geldautomaten abgehoben. In mehreren der am stärksten von der Corona-Krise betroffenen Ländern konkurrieren digitale Zahlungsmittel sehr stark mit der Verwendung von Bargeld. In Italien zum Beispiel haben die Regierung und Gesundheitsämter die Bevölkerung aufgefordert, vermehrt digitale Zahlungsmittel wie Karten oder Smartphones zu verwenden.
Das rückläufige Wachstum des Bargeldverkehrs während der Pandemie wird einigen Unternehmen mehr zu schaffen machen als anderen. Restaurants, Bars und lokale Geschäfte, die keine Basiskonsumgüter verkaufen, sind geschlossen; dort wird in der Regel überwiegend mit Bargeld gezahlt. Die Nahrungsmittelgeschäfte verzeichneten eine erhebliche Umsatzsteigerung; hier wurden die Konsumenten von der Regierung und den Geschäften aufgefordert, aus Hygienegründen elektronische Zahlungsmittel zu verwenden.
Auch der Online-Handel hat 2020 deutlich zugenommen und hier erfolgen natürlich alle Zahlungen digital.
Abbildung 2. Volumen der bargeldlosen Geschäftsabschlüsse weltweit (in Mrd.), nach Region, 2017-2022E
Quellen: Capgemini Financial Services Analysis 2019, World Payments Report 2019. Dient nur zur Veranschaulichung.
Werden die neuen Zahlungsgewohnheiten beibehalten?
Es stellt sich allerdings die Frage, ob die Menschen die Gewohnheit der digitalen Zahlungen beibehalten oder nach der Rückkehr zur „Normalität“ auch wieder zum Bargeld zurückkehren werden.
Der Zahlungsvorgang besteht aus einem technologischen und einem gesellschaftlichen Aspekt. Natürlich erfordert er die nötige technologische Infrastruktur, um digitale Zahlungen ausführen und empfangen zu können. Die Finanztechnologie macht dies seit mehreren Jahren möglich und die Akzeptanz steigt; immer mehr Konsumenten installieren mobile Zahlungs-Apps und immer mehr Händler akzeptieren Zahlungen per Karte oder Mobiltelefon.
Der soziale Aspekt wird hingegen oft unterschätzt. Wenn etwas von der Technologie her möglich ist, bedeutet das noch lange nicht, dass es auch akzeptiert wird. Das zeigt sich in Ländern wie Deutschland, Spanien, Griechenland, Italien, Indien, Südafrika, Brasilien und zahlreichen anderen, wo die Verwendung von Bargeld noch weit verbreitet ist, weil die Gesellschaft Bargeldzahlungen vorzieht, obwohl die Infrastruktur für den digitalen Zahlungsverkehr vorhanden ist. COVID-19 verstärkt den Druck zur Verwendung digitaler Zahlungsmittel.
Wir glauben, dass die Menschen, die zuvor mit Bargeld zahlten, die Geschwindigkeit, Sicherheit und Hygiene der digitalen Zahlungen schätzen lernen und auch nach der Aufhebung der krisenbedingten Einschränkungen weiterhin digitale Zahlungsmittel verwenden werden. Allerdings dürfte es wohl sehr lange dauern, bis das Bargeld vollständig aus dem Verkehr gezogen wird, wenn es überhaupt so weit kommt. Wir rechnen mit einer starken Beschleunigung des digitalen Zahlungsverkehrs und möglicherweise einem erstmaligen Rückgang der Verwendung von Bargeld.
Vermehrte Verwendung digitaler Lösungen für die persönliche Finanzplanung
Infolge von COVID-19 werden vermehrt digitale Finanzdienstleistungen in Bereichen wie Hypotheken-Beratung, Kreditaufnahme und Vermögensverwaltung in Anspruch genommen. Dies lässt darauf schliessen, dass Bankkunden aufgrund der räumlichen Distanzierungsmassnahmen vermehrt auf Online- und mobile Kanäle zugreifen, um ihre Finanzen zu verwalten. Die Online-Applikationen für Hypotheken zum Beispiel vermehren sich sehr schnell, weil die Leute ihre Hypotheken refinanzieren wollen, um von den niedrigen Zinsen zu profitieren. Ausserdem sind Online-Applikationen praktischer. Der Kunde kann sich bequem von seinem Home Office aus auf dem betreffenden Website einloggen, anstatt einen Tag frei zu nehmen, um zu seiner Bankfiliale zu gehen. In Deutschland wurden im März 2020 an einem einzigen Tag 2,5 Millionen Online-Bankkonten eröffnet.
Die Digitalisierung der Finanzdienstleistungen stellt einen langfristigen Trend dar. Wir erwarten, dass sie ebenso grosse Auswirkungen haben wird, wie die Digitalisierung des Konsumbereichs durch Online-Handel, soziale Medien und E-Sport. Im Umfeld der gegenwärtigen Pandemie wird der Druck zur Verwendung digitaler Dienstleistungen noch weiter verstärkt.
Finanzielle Inklusion und staatliche Fördermassnahmen
Der durch die Pandemie verursachte wirtschaftliche Zusammenbruch zeigt deutlich, wie wichtig es sowohl in den Schwellenländern als auch in den Industrieländern ist, Menschen, die noch keinen Zugang zum Finanzsystem haben, mit Finanzdienstleistungen zu versorgen. Es ist durchaus möglich, dass COVID-19 eine eine stärkere finanzielle Inklusion bewirken wird, da die Regierungen rund um die Welt Unterstützungsprogramme für Haushalte mit niedrigem Einkommen eingeführt haben.
Zahlreiche FinTech-Unternehmen haben es sich zur Aufgabe gemacht, Finanzdienstleistungen durch das Bereitstellen von Basisleistungen in gerechter und transparenter Weise jedermann zugänglich zu machen. Damit spielen sie eine wichtige Rolle bei der Verteilung staatlicher Unterstützung an stärker gefährdete Bevölkerungsschichten. FinTech-Unternehmen wie Intuit, PayPal oder Square2 übernehmen bereits eine aktive Funktion in der effizienten Geldüberweisung. Sie wurden alle im April von der amerikanischen Regierung dafür eingesetzt, Haushalten und Unternehmen staatliche Finanzhilfe zukommen zu lassen.
Eine Gelegenheit für die Einführung digitaler Zentralbankwährungen
Die Corona-Krise könnte den Zentralbanken überraschenderweise eine Gelegenheit bieten, ihre eigenen digitalen Währungen („CBDC“) einzuführen. Wir verfolgen die Entwicklung der Kryptowährungen schon seit geraumer Zeit und sind davon überzeugt, dass die ihnen zugrundeliegende Technologie zur Tokenisierung von Vermögenswerten verwendet werden könnte. Allerdings sind wir was Krypto-Münzen anbelangt nach wie vor skeptisch und gehen davon aus, dass die meisten davon keinen Bestand haben werden. Eine regulierte Form von Krypto-Münzen, die mit der Unterstützung der Zentralbanken geschaffen werden, könnten unserer Meinung nach jedoch zum Erfolg werden.
Zum grossen Leidwesen der Zentralbanken haben die meisten quantitativen Lockerungsprogramme der letzten Jahre keine gleichwertige Verbesserung der Liquidität in der Realwirtschaft bewirkt, da der grösste Teil des Geldes zur Verbesserung der Bankbilanzen verwendet wurde. Mit CBDC können Zentralbanken die Geldverteilung besser steuern und Geld direkt an Unternehmen oder Konsumenten verteilen. Das umfangreiche Helikoptergeldprojekt der USA, das die Zuweisung von 1’200 USD an jeden bezugsberechtigten Amerikaner vorsah, wurde vor enorme logistische Herausforderungen gestellt, weil zahlreiche Bürger, die das Geld am dringendsten brauchten, kein Bankkonto besassen.
Die Mittel wurden mit Hilfe von FinTech-Lösungen, beispielsweise in Form von Guthabenkarten, verteilt. Unseres Erachtens wären jedoch Online-Geldbörsen mit CBDC noch effizienter. Mit einem Smart Contract versehen könnte die CBDC in zweckgebundene Münzen verwandelt werden, die so programmiert sind, dass sie nur für spezifische Zwecke, wie zum Beispiel den Kauf von Nahrungsmitteln oder die Bezahlung von Versorgungsdienstleistungen und nicht für Glücksspiele verwendet werden können. CBDC stehen bisher weder in Europa noch in den USA zur Verfügung, könnten jedoch angesichts der gegenwärtigen Pandemie von den Zentralbanken wieder auf die Tagesordnung gesetzt werden, zumal China kurz davor steht, seinen eigenen digitalen Yuan einzuführen.
Belebung der Fusionen und Akquisitionen
Im Bereich des Zahlungsverkehrs gab es schon immer eine Rege Fusions- und Akquisitionstätigkeit. Bei den börsennotierten Unternehmen fanden ein paar sehr grosse M&A-Geschäfte statt. FIS, Fiserv, Global Payments und Worldline im Zahlungsgeschäft, Charles Schwab und Morgan Stanley in der Vermögensverwaltung3. Oberstes Gebot bei der Akquisition eines FinTech-Unternehmens ist der operative Hebel des Netzwerks. Unternehmen wachsen entweder organisch oder durch Fusionen und Übernahmen; letzteres ist zwar schneller, stellt die Unternehmen aber vor Herausforderungen in Bezug auf die Integration. Infolge der 2019 stetig steigenden Bewertungen im Privatsektor stellten wir gegen Ende 2019 und Anfang 2020 eine Verlangsamung der M&A-Aktivität bei börsengehandelten Unternehmen fest. Nachdem die Bewertungen der börsengehandelten Unternehmen wieder auf erschwinglichere Niveaus gesunken sind und es im Privatsektor schwieriger geworden ist, die finanziellen Mittel zur Finanzierung solcher Geschäfte aufzutreiben – vor allem für Start-ups in der Frühphase, weil viele Investoren ihr Augenmerk auf etablierte FinTech-Unternehmen mit klaren Geschäftsmodellen richten –, werden voraussichtlich wieder mehr Fusionen und Akquisitionen in Betracht gezogen.
Internet-Sicherheit ist wichtiger denn je
Die Internet-Sicherheit ist ein äusserst wichtiges Thema, das die Digitalisierung des Finanzsektors gefährden könnte. COVID-19 könnte unter Umständen zu vermehrten Betrügereien über das Internet führen. Die Europäische Zentralbank (EZB) warnte kürzlich vor erhöhter Cyber-Kriminalität, aufgrund der Tatsache, dass erheblich mehr Kunden digitale Bankdienstleistungen in Anspruch nehmen und sich nicht mehr persönlich in ihre Bankfiliale begeben. Die EZB empfahl daher den Banken, mit externen Sicherheitsfirmen zusammenzuarbeiten, um sich während der Pandemie gegen Cyber-Angriffe zu schützen. Wir erwarten daher, dass Banken und FinTech-Unternehmen vermehrt in Internet-Sicherheit und Cyber-Versicherungen investieren werden.
Wir sind davon überzeugt, dass die unserer FinTech-Strategie zugrunde gelegten Trends – von den digitalen Zahlungen über Kryptowährungen und Internet-Sicherheit bis M&A – durch die COVID-19-Pandemie begünstigt werden.