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Haben Staatsanleihen ihre Diversifizierungs-vorteile verloren?

Haben Staatsanleihen ihre Diversifizierungsvorteile verloren?
Alain Forclaz - Deputy CIO, Multi Asset

Alain Forclaz

Deputy CIO, Multi Asset
Aurèle Storno - Chief Investment Officer, Multi Asset

Aurèle Storno

Chief Investment Officer, Multi Asset

Das Diversifizierungspotenzial der Staatsanleihen stellte bisher eine der klassischen Grundlagen der Portfolioverwaltung dar. Verwalter von klassischen 60/40 oder ‘ausgewogenen’ Portfolios bis zu Multi-Asset-Fonds hielten Staatsanleihen seit je für einen langfristigen Stabilisierungsfaktor, mit dem die oft viel stärkere Volatilität der Aktien ausgeglichen werden konnte. In der Vergangenheit hat sich dies auch gut bewährt, grösstenteils weil Aktien und Anleihen in der Regel negativ korrelieren, vor allem in Zeiten, in denen Risikoanlagen unter Druck geraten.

Allerdings haben die Zentralbanken zur Abschwächung der wirtschaftlichen Folgen von COVID-19 unter anderem die Zinssätze weiter gesenkt. Dies führte zwar kurzfristig zu einer leichten Verbesserung der Performance, da die Anleihenrenditen sanken und der Kapitalertrag stieg, doch inzwischen stehen die Anleihenrenditen auf beispiellos niedrigen Niveaus und es stellt sich die Frage, ob die Staatsanleihen in Zukunft ihre Stabilisierungsfunktion in den Portfolios noch erfüllen können.

 

Warum in Staatsanleihen investieren?

In der Folge entbrannte eine heftige Debatte über den Einsatz von Anleihen in Multi-Asset-Portfolios. Einige Portfolioverwalter kündigten das Ende der Staatsanleihen an und stiegen zum Teil ganz aus dieser Anlageklasse aus, um in anderen für sicher empfundenen Häfen, unter anderem bei inflationsgeschützten Anleihen und Gold, ihr Glück zu suchen. Anstatt eine so radikale Umschichtung vorzunehmen, prüften wir vorerst die Gründe, aus denen wir überhaupt in Staatsanleihen anlegen, denn schliesslich hat die Duration von den traditionellen Risikoprämien unserer Portfolios seit Jahresbeginn den einzigen positiven Performancebeitrag geleistet. Durch diese Prüfung stellen wir sicher, dass unser Anlageprozess an veränderte Marktbedingungen angepasst werden kann und sie dient als Grundlage für die Aufnahme weiterer sicherer Anlagen.

Auch wenn wir Wachstum und Inflation als die beiden wichtigsten Elemente der Wirtschaftszyklen und als Performancetreiber für traditionelle Anlageklassen anerkennen, geben wir in unserem Asset Allocation-Prozess keinem besonderen makroökonomischen Szenario oder Umfeld den absoluten Vorzug. Wir versuchen vielmehr, die Risiken über einen langfristigen Wirtschaftszyklus aus Wachstum und Inflation systematisch auszubalancieren. In der Vergangenheit lieferte dieser Ansatz unserer Meinung nach bessere risikobereinigte Renditen als Portfolios mit kapitalbasierter Asset Allocation. Eine Analyse unterschiedlicher Marktverhältnisse, wie beispielsweise strukturbedingt niedrige Zinsen, wie wir sie seit den 1990er Jahren in Japan sehen, sowie Perioden mit positiver (oder negativer) Korrelation zwischen Aktien und Anleihen, gibt diesem Ansatz zudem recht.  

Wir versuchen die Risiken über einen langfristigen Wirtschaftszyklus aus Wachstum und Inflation systematisch auszubalancieren

Das Kernstück unseres Anlageprozesses bildet die Diversifizierung. Wir untersuchen alle Renditequellen unter Berücksichtigung des Risikos und nicht des eingesetzten Kapitals. Das heisst, dass das Risiko einen integrierenden Bestandteil aller unserer Allokations- und Ausgleichsprinzipien darstellt. Hierzu ein Beispiel: Falls die Wachstums- und Inflationserwartungen deutlich steigen und unsicherer werden (wie in den späten 1970ern), würden wir damit rechnen, dass die Zinsen und die Volatilität (als Zeichen der Preisungewissheit) steigen; in diesem Fall würde das Engagement in festverzinslichen Anlagen in unserem Portfolio automatisch reduziert, möglicherweise sogar unter das für ein klassisches Portfolio typische Verhältnis von 60/40.

Des Weiteren sind wir der Ansicht, dass die Beurteilung des Risikos aus Risikoprämien auf dem Verlustrisiko basieren und nicht bloss auf die Volatilität ausgerichtet sein sollte. Dieser Ansatz sollte sowohl auf die zukunftsgerichteten als auch auf vergangene, statistische Risikoindikatoren angewandt werden. Wir könnten beispielsweise einen Indikator für das Bewertungsrisiko verwenden, wie eine Carry-Risikoprämie, der die voraussichtliche Renditeverteilung widerspiegelt: Bei höherer Bewertung sinkt der potenzielle Carry und das Verlustrisiko steigt.

 

Taktische Abweichungen

Danach versuchen wir, unsere Ertragsquellen zu diversifizieren, indem wir taktische Abweichungen von unserer strukturellen Allokation vornehmen. Das bedeutet beispielsweise, dass wir Trendsignale identifizieren und diese Daten zur Verbesserung der Portfoliopositionierung verwenden – Anzeichen auf sinkende Kurse würden zu einem Abbau der Positionen führen, der bei anhaltend sinkenden Kursen längerfristig beibehalten würde. Die Flexibilität unseres Ansatzes zeigte sich 2016, als wir unser Engagement in Staatsanleihen von 75% im Juli (als die Renditen der Staatsanleihen auf einem absoluten Tief standen) auf 35% nach den amerikanischen Präsidentschaftswahlen im November reduzierten.

Die Beimischung weiterer sicherer Anlagen neben den Staatsanleihen stellt auch ein kritisches Element unseres Ansatzes dar, da wir auch hier unsere Diversifizierungskriterien anwenden. Wie zahlreiche andere Portfoliomanager setzen wir inflationsgebundene Anleihen und Gold ein, halten aber neben diesen typischen sicheren Anlagen auch nach anderen Möglichkeiten Ausschau. Zur Absicherung gegen extreme Verluste (Tail-Risiko) tätigen wir Anlagen, die von einer Zunahme der Volatilität profitieren; diese Anlagen haben sich im laufenden Jahr als sehr hilfreich erwiesen. Auch Barmittel dienen als Puffer für Marktschocks, obwohl das oft vergessen wird, und wir setzen diesen Mechanismus aktiv ein. Im laufenden Jahr machte der Barmittelbestand unseres Portfolios bisweilen 65% aus, doch mittlerweile sind wir wieder voll investiert.

 

Diversifizierung

Nicht zuletzt glauben wir auch, dass der Erfolg einer Strategie nicht nur von der Diversifizierung der verschiedenen Anlageklassen abhängt, sondern auch von der Diversifizierung innerhalb jeder Anlageklasse. Deshalb behalten wir nicht nur die klassischen Staatsanleihenmärkte und unsere einheimischen Märkte im Auge, wie es viele Investoren tun, sondern lassen unseren Blick weiter schweifen. Zum Beispiel nach Nordostasien, wo die Anleihen von vergleichsweise attraktiven Zinsen profitieren und eine verbesserte Liquidität aufweisen, wodurch sie sich für eine Aufnahme in unser Portfolio qualifizieren.

Fazit: Die Befürchtung, Niedrigzinsen hätten fatale Folgen für risiko-basierte Portfolios, ist unseres Erachtens unbegründet. Sie sind zweifelsohne eine grosse Herausforderung für alle Multi-Asset-Portfoliomanager, doch wir sind der Meinung, dass ein risiko-basierter Anlageansatz dazu beitragen kann, langfristig bessere risikobereinigte Renditen zu erzielen. Für uns heisst das, dass wir unserem Vorgehen treu bleiben und ein vollständig diversifiziertes Portfolio, das sich aus allen Anlagetypen, einschliesslich Staatsanleihen, zusammensetzt, systematisch verwalten.

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