fixed income
Der Balanceakt der SNB zwischen Inflation und Jobs
Im Rahmen ihrer letzten Sitzung des Jahres 2022 standen der Schweizerischen Nationalbank (SNB) mehrere Möglichkeiten zur Verfügung. Wir analysieren den Entscheid, den Leitzins auf 1% anzuheben, untersuchen, wie die SNB den Spagat zwischen divergierenden Wirtschaftssignalen meistert, und berücksichtigen dabei die geldpolitischen Konsequenzen im kommenden Jahr.
Gut zu wissen
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Mit einer Zinserhöhung von 50 Bp. im Rahmen ihrer letzten Sitzung folgte die Schweizerische Nationalbank (SNB) den Ankündigungen der Federal Reserve (Fed) und der Europäischen Zentralbank (EZB), die Geldpolitik zu straffen, entschied sich aber für einen Mittelweg zwischen grösseren (75 Bp.) und kleineren (25 Bp.) Zinserhöhungen. Wir erwarten nun eine letzte Zinserhöhung von 25 Bp. für Anfang 2023. Allerdings ist es möglich, dass wir diese Schätzung angesichts der letzten Revisionen der SNB an ihrer Inflationsprognose noch anpassen können.
Im Vorfeld der Sitzung sahen wir drei mögliche Optionen für die Schweizer Zentralbank: Beibehaltung des Kurses mit Erhöhungen von 50 Bp., Verlangsamung des Tempos mit Erhöhungen von 25 Bp. oder Beschleunigung der Zinserhöhungen mit einer Straffung von 75 Bp.
Option 1: Zinserhöhung von 50 Bp. Dieses Szenario (und die letztendliche Entscheidung) stellte für die SNB einen goldenen Mittelweg dar und war ein bereits im Markt eingepreister Kompromiss. Mit der Erhöhung von 50 Bp. wurde dem entspannteren Inflationstrend der letzten Monate Rechnung getragen, während gleichzeitig eingeräumt wurde, dass die Geldpolitik einem überhitzten Arbeitsmarkt entgegentreten und ein angemessenes Wachstum einkalkulieren muss. Weil die Zinserhöhung die Hauptarbeit leisten sollte, verzichtete die Notenbank auf andere geldpolitische Massnahmen wie eine Bilanzverkürzung.
Option 2: Zinserhöhung von 25 Bp. Die SNB hätte den Leitzins um lediglich 25 Bp. anheben können, also weniger, als am Markt eingepreist war. Damit hätte sie dem Rückgang der Inflation in der Schweiz mehr Gewicht verliehen und möglicherweise den Zinsschritt um eine allmähliche Bilanzverkürzung ergänzt. In einem solchen Fall hätte die SNB signalisiert, weniger über die angespannte Lage am Arbeitsmarkt besorgt gewesen zu sein und sich eher auf das Risiko konzentriert, zu stark auf die Bremse zu treten. Zudem hätte sie sich für den Einsatz anderer (unkonventioneller) geldpolitischer Hebel entschieden, um eine Abneigung gegenüber einer zu grossen Bilanz mehr Ausdruck zu verleihen.
Option 3: Zinserhöhung von 75 Bp. Die SNB hatte durchaus Argumente für eine Anhebung von 75 Bp., um gegenüber der Fed und der EZB „aufzuholen“. In Bezug auf die Gesamtzahl der Zinserhöhungen im Jahr 2022 liegt die SNB deutlich hinter den USA und der Eurozone zurück, weil die SNB lediglich alle drei Monate tagt und sich für Erhöhungen von 50 Bp. statt der 75 Bp., die ihre Pendants zuweilen vorgenommen haben, entschieden hat. Sie hätte den Leitzins auch stärker anheben können, um den Abstand ein wenig auszugleichen. Dieses Szenario war allerdings weniger wahrscheinlich, da es ein falsches Signal an den Markt hätte senden können, namentlich, dass die SNB die Zinserhöhungen zu spät forciert, vor allem vor dem Hintergrund dass die Inflation bereits rückläufig ist.
Gratwanderung der SNB
Am Ende entschied sich die SNB für den goldenen Mittelweg. Die Zinserhöhung von 50 Bp. ist eine Gratwanderung zwischen divergierenden makroökonomischen Indikatoren: niedrigere Inflationszahlen sowie schwächere Aktivitätsdaten auf der einen Seite und eine starke Beschäftigungslage sowie ein widerstandsfähiges BIP auf der anderen Seite. Allerdings werden sowohl die Beschäftigungszahlen als auch die BIP-Daten in der Regel als eher als nachlaufende Indikatoren interpretiert.
Die Inflation liegt nach wie vor über dem Bereich, den die SNB mit Preisstabilität gleichsetzt, doch die Notenbank rechnet damit, dass sie nur „vorübergehend“ erhöht bleibt, und hat ihre Prognose bis Mitte 2023 leicht gesenkt. Die SNB hat jedoch auch ihre mittelfristigen Prognosen aufgrund des Inflationsdrucks aus dem Ausland und weit verbreiteter Preissteigerungen erhöht. Insbesondere teilte sie mit, dass sie für das 3. Quartal 2025 eine Inflationsrate von 2,1% erwartet, was knapp über der Zielmarke von 2% liegt. Dies lässt darauf schliessen, dass die SNB eine weitere Straffung der Geldpolitik für notwendig erachtet, und deutet unserer Meinung nach darauf hin, dass eine Zinserhöhung von mehr als 25 Bp. im kommenden Jahr gerechtfertigt sein könnte.
Abbildung 1. Vorbehaltliche Inflationsprognosen der SNB, Dezember 2022
Quelle: SNB.
Im Allgemeinen verlangsamt sich der Preisanstieg in der Schweiz deutlich (Abbildung 2) und ist sogar mit Blick auf den Durchschnitt der letzten drei Monate negativ.
Abbildung 2. Schweizer KPI (3M/3M, saisonbereinigt und annualisiert)
Quelle: Schweizerisches Bundesamt für Statistik, LOIM-Berechnungen. Per November 2022.
Es wird mit einem Anziehen der Preise aufgrund technischer Faktoren, wie z.B. der administrierten Preise, im 1. Quartal gerechnet, aber wir gehen davon aus, dass die SNB dies angesichts des allgemeinen Trends hin zu einer niedrigeren Inflation ignorieren wird. Ein wichtiger Einflussfaktor bleibt die Währung. Die Aufwertung des Schweizer Frankens in diesem Jahr hat zur Eindämmung der importierten Inflation beigetragen. Die SNB hat bestätigt, dass sie in den letzten Monaten ausländische Währungen verkauft hat, um angemessene monetäre Bedingungen zu schaffen, und sie wird auch in Zukunft ausländische Währungen verkaufen oder kaufen, wenn sie dies als angemessen oder notwendig erachtet.
Behutsames Vorgehen
Bei der Analyse der jüngsten BIP-Daten zeigt sich, dass die Konsumentenausgaben stabil geblieben sind und nicht so hart getroffen wurden wie erwartet. Auch die Investitionen sind nach wie vor widerstandsfähig. Andere Konjunkturindikatoren sind allerdings rückläufig und weisen auf Abwärtsrisiken hin. So ist beispielsweise gemäss Umfragen das Vertrauen der Konsumenten sehr negativ, während der PMI und die Indikatoren des Wirtschaftsforschungsinstituts KOF1 allmählich drehen.
Andernorts könnten aufgrund der Verlangsamung in der Eurozone Abwärtsrisiken für die Schweizer Wirtschaft entstehen. Die Wachstumsaussichten der Eurozone, unserem wichtigsten Handelspartner, sind durchzogenund könnten sich auf das Wachstum der Schweiz auswirken. Angesichts dieser Tatsache sollte die SNB Vorsicht walten lassen.
Der Arbeitsmarkt in der Schweiz ist nach wie vor extrem angespannt und die Arbeitslosigkeit strukturell niedrig (Abbildung 3). Eine ähnliche Situation herrscht in den USA vor, wo die Inflation nun zurückgeht, aber die starken Arbeitsmärkte nach wie vor das Mass aller Dinge sind. Das ist ein gutes Zeichen für die SNB, denn die Wirtschaft verlangsamt sich aus einer starken Position heraus bei gleichzeitig überhitzten Arbeitsmärkten und einer restriktiveren Zentralbankpolitik.
Allerdings hinken die Arbeitsmarktindikatoren in der Regel hinterher und zeigen eine Veränderung des wirtschaftlichen Umfelds eher spät an. Könnte sich die Schweizer Wirtschaft also bereits in einem neuen Regime befinden?
Abbildung 3. Schweizer Arbeitslosenquote und offene Stellen
Quelle: Staatssekretariat für Wirtschaft (SECO). Per November 2022.
Mit der Anhebung des Leitzinses auf 1% hat die SNB sowohl die sinkende Inflation als auch die unvermindert stabile Beschäftigungslage berücksichtigt. Vor dem Hintergrund der jüngsten Inflationsprognosen der Notenbank halten wir Ausschau nach Signalen, die darauf hindeuten, dass im kommenden Jahr ein Zinsschritt von 25 Bp. anstehen könnte. Allerdings gibt es nach wie vor zahlreiche Abwärtsrisiken für die Wirtschaft, weshalb wir davon ausgehen, dass die SNB ihren Balanceakt auch in Zukunft fortsetzen muss. |
Quelle
[1] KOF steht für Konjunkturforschungsstelle.
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