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Acht Gründe für eine anhaltende Inflation

Acht Gründe für eine anhaltende Inflation
Dhiraj Bajaj - CIO, Asia Fixed Income and Equities

Dhiraj Bajaj

CIO, Asia Fixed Income and Equities

Wir haben unsere Einschätzung der Inflationsentwicklung kürzlich geändert, da mehrere für den mittelfristigen Preissteigerungsdruck verantwortliche Faktoren nicht mehr nur vorübergehend die Lage bestimmen. In diesem Artikel erläutern wir, warum wir aufgrund der Pandemie, der schnellen Zunahme von nachhaltigkeitsorientierten Investitionen und verschiedenen Deglobalisierungstrends nicht mehr von einer Fortsetzung der Niedriginflation ausgehen. In nächster Zeit dürften sich diese mittelfristigen Faktoren und die Langzeitfaktoren einer Desinflation oder Deflation ein zähes und anhaltendes Kräftemessen liefern.

 

Jahrelang gingen wir von einer strukturell expansiven Entwicklung aus und gehörten zu den Vertretern einer „Niedriginflation“. Grundlage hierfür waren mehrere Faktoren, die das Weltwirtschaftswachstum sowie die Inflation langfristig bremsten. Dazu gehörten die weltweit höheren Schuldenniveaus, die Alterung der Bevölkerung in den Industrieländern und in China, der schnelle Siegeszug neuer Technologien, der weltweite Arbeitskräfteüberschuss, die strukturell geringe Auslastung in vielen Branchen und die grundsätzliche Ausrichtung der Regierungen auf haushaltspolitische Sparmassnahmen.

In einem durch diese Faktoren bestimmten Szenario bleiben das Lohnwachstum gering und der Teufelskreis der Niedriginflation ungebrochen. Aus diesem Grund lagen der neutraleund der Terminal2-Zinssatz von US-Staatsanleihen in den letzten zehn Jahren deutlich unter den restriktiven Prognosen der Federal Reserve.

Zu Beginn des Jahres gingen wir nach wie vor davon aus, dass diese Situation andauern und jeglicher Anstieg bei der Inflation vorübergehend und hauptsächlich auf einen kurzfristigen Boom nach der Wiederöffnung, die sich entladende angestaute Nachfrage und vorübergehende Lieferkettenengpässe zurückzuführen sein würde.

„Von den Betrieben hören wir, dass die Lieferkettenengpässe in einigen Sektoren Jahre andauern könnten.“

Dies leuchtet ein; befragen wir jedoch die Unternehmen, in denen wir anlegen, bekommen wir von der Basis ein ganz anderes Bild vermittelt. Von den Betrieben hören wir, dass die Lieferkettenengpässe in einigen Sektoren Jahre andauern könnten. Die Inputkosten - in Form von Transport-, Logistik-, Material- und Arbeitskosten - steigen, und zwar allem Anschein nach nicht nur vorübergehend.

Andererseits erhöhen auch viele dieser Unternehmen ihrerseits die Preise und weiten die Betriebsgewinnmargen aus, um vergangene Einbussen wettzumachen, worin sie durch den geringen Wettbewerb und die ausgereizten Kapazitäten im gesamten Industriesektor bestärkt werden.

 

Nicht mehr nur vorübergehend

Unseres Erachtens ist es inzwischen nur realistisch anzuerkennen, dass einige für den Preissteigerungsdruck verantwortliche Faktoren nicht mehr nur vorübergehend sind. Mehrere mittelfristige Trends tragen unserer Meinung nach zu anhaltendem Preissteigerungsdruck bei und dürften dafür sorgen, dass die Inflation dauerhaft zurückkehrt, auch über die kurzfristigen Auswirkungen der Wiederöffnung der Wirtschaften und der überschüssigen Liquidität am Markt hinaus.

Diese Trends (nicht nach Priorität geordnet) sind:

  • China exportiert weniger Deflation. Seit Chinas Beitritt zur Welthandelsorganisation vor zwanzig Jahren „exportiert“ das Land gewissermassen Deflation in die westlichen Industrieländer. Exzessive Konjunkturmassnahmen nach der weltweiten Finanzkrise 2008 bescherten Chinas Wirtschaftssystem hohe Schulden und einen überhöhten Auslastungsgrad und liessen den politischen Willen entstehen, im wuchernden Sektor der staatseigenen Unternehmen angebotsseitige Reformen durchzuführen. Durch den sinkenden deflationären Einfluss Chinas dürften die Preise ab Werk steigen, die exzessiven Exporte zu extrem wettbewerbsfähigen Preisen zurückgehen und weltweit mehr Preisdisziplin zu spüren sein. Dieser Faktor für Preissteigerungsdruck wird durch die Tatsache, dass China ein Nettoimporteur von Roh- und Grundstoffen ist, noch verstärkt.
     
  • Die strukturelle Nachfrage nach Basismetallen wird spürbar. Unserer Meinung nach werden die Investitionen in nachhaltige Infrastrukturen nach der Pandemie dauerhaft hoch bleiben; bedeutende Wirtschaftsmächte wie die USA, China und der Euroraum haben sich jüngst dazu verpflichtet. Für die Elektrifizierung von Fahrzeugflotten, den Ausbau von parallelen und Ersatz-Stromerzeugungssystemen, die Verbesserung von Telekommunikationssystemen und andere erforderliche Massnahmen werden hohe Mengen an Basismetallen notwendig sein, und das in einer Branche, die typischerweise sehr viel Vorlaufzeit für den Ausbau des Angebots braucht. Es kann bis zu 15 Jahre dauern, eine Eisenerzmine von Weltrang zu finden und zu erschliessen, und umfangreiche Kupfervorkommen werden immer seltener entdeckt.
     
  • Stabile Ölpreise. Die Ölpreise haben sich nun über USD 70/Barrel eingependelt. Ursache dafür sind erneut hauptsächlich nachhaltigkeitsorientierte Investitionen und die Covid-19-Krise, die zusammen den USA ihren Status als Preissetzungsmacht kosten dürften. In den USA, einem Land, das die Produktion von unkonventionellem Schieferöl rasch steigern kann und über ein unbegrenztes Binnenangebot von Kohlenwasserstoffen verfügt, stehen die Ölriesen inzwischen unter intensivem Druck seitens der Aktionäre, ihre Eigenkapitalrendite zu erhöhen, während gleichzeitig Umweltaktivisten immer mehr auf den Übergang zu saubereren Brennstoffen drängen.

    Dies hat bereits dazu geführt, dass Saudi-Arabien und Russland die USA unterm Strich in Bezug auf die Produktion von Platz 1 verdrängt haben - unseres Erachtens dürfte der Einfluss der OPEC auf die Preissetzung steigen. Aufgrund der zurückhaltenden Investitionsausgaben und der sinkenden Kapazitäten verschiedener ärmerer OPEC-Mitgliedstaaten und ihres dementsprechend geringeren Beitrags zur Produktionentsteht eine Situation, in der sich das Angebotswachstum in den nächsten drei bis fünf Jahren deutlich schneller verlangsamen dürfte als das Wachstum der Nachfrage. 
     
  • Der weltweite Ersparnisüberschuss wird schrittweise ausgegeben. Der weltweite Ersparnisüberschuss gegenüber der Zeit vor Covid-19 beträgt nun schätzungsweise USD 5,4 Bio. und dürfte mittelfristig eher im Dienstleistungssektor als im Warensektor ausgegeben werden. Anders als bei der Krise von 2008 ist diesmal von einer weltweit gleichzeitigen Erholung auszugehen, was zu nicht mehr nur vorübergehenden, sondern anhaltenden Lieferengpässen führen dürfte.
     
  • Längerfristige Beschränkungen der Bewegungsfreiheit von Arbeitskräften. Unterbrechungen der Arbeitsmigration in Asien und in den Entwicklungsländern aufgrund der Pandemie und jüngster protektionistischer Massnahmen der Regierungen könnten dazu führen, dass sich in mehreren Volkswirtschaften ein höherer Lohndruck bemerkbar macht, der sich auch in höheren Kosten für Waren und Dienstleistungen niederschlagen würde. Dies kann grösstenteils als eine partielle Umkehr des Globalisierungstrends der letzten Jahrzehnte betrachtet werden. Ein Umfeld, in dem Arbeitskraft einen höheren Stellenwert hätte als Kapital, würde unseres Erachtens mit Sicherheit von der Niedriginflation ablenken und zu mehr Inflation führen.
     
  • Grössere Bereitschaft zu expansiven haushaltspolitischen Programmen. Regierungen auf der ganzen Welt erhöhten im Kampf gegen die Pandemie ihre Ausgaben und sogar Schwellenländer erhöhten ihre Staatsverschuldung um 10 % bis 15 %; noch nie hatten diese Nationen in so kurzer Zeit derartige Summen ausgegeben. Anders als Schwellenländer mit von Natur aus begrenzten Haushaltsbudgets erkennen Industrieländer nun ihre Fähigkeit an, ihre Budgets viel stärker auszudehnen, als zuvor akzeptiert wurde. Die USA könnten diese Taktik noch in den kommenden Jahren fortsetzen4, nicht mehr, um die Erholung von der Covid-19-Krise anzukurbeln, sondern um gegen China im Wettbewerb um die dominante Position in den Bereichen Technologie und Informationsbeschaffung sowie den geopolitischen Status gewappnet zu sein. Im Gegenzug könnte sich die derzeitige expansive Kreditaufnahme verfestigen und einen Wendepunkt darstellen, ab dem die Geldpolitik nicht mehr wie im vergangenen Jahrzehnt der einzige Stimulus sein wird.
     
  • Unternehmen ändern ihr Verhalten und zeigen Mut zu Preiserhöhungen. Weltweit zeigen Firmen in vielen Sektoren eine neue Bereitschaft, ihre Preise auf Kosten der Investitionen zu erhöhen. Zahlreiche Unternehmen, die die Krise überlebt haben, zögern aus Angst vor langfristiger wirtschaftlicher Unsicherheit, Investitionen zu tätigen, die ihre Fixkosten erhöhen. Dieses kollektive Verhaltensmuster führt sehr wahrscheinlich zu knapperen Kapazitäten und einer grösseren Preissetzungsmacht der Branchenführer. Stahlwerke in den USA sind derzeit beispielsweise nicht bereit, in grosse neue Anlagen zu investieren, und dies trotz der bevorstehenden staatlichen Infrastrukturinvestitionen.
     
  • Mehr Nachfrage nach Wohnraum. In vielen Regionen der Welt und besonders in den USA deuten demographische Daten auf eine stabile Nachfrage nach Wohnimmobilien nach der Pandemie hin, denn immer mehr Millennials erreichen ein Alter, in dem sie Familien gründen und sich für den Eigenheimerwerb interessieren. Die Tatsache, dass die Baby-Boomer-Generation ihren Wohnraum nun nicht mehr verkleinert, wirkt diesem Trend entgegen und führt zu einem strukturellen Ungleichgewicht, mit dem niemand gerechnet hatte. Dadurch steigen die Immobilienpreise in Asien, Grossbritannien und den USA stark an; ein Trend, der sich sehr wahrscheinlich weiter fortsetzen wird, da das Angebot an Immobilien knapp bleibt, weil Eigenheimbesitzer zu günstigen Bedingungen umschulden und in ihren Häusern bleiben.

 

Das Tauziehen um die Inflation: Welche Seite gewinnt?

Die Argumente für eine kurzfristige Inflation - nämlich die synchrone weltweite Wiederöffnung, die Liquiditätsspritzen und die Lieferengpässe - sind nun allgemein bekannt und akzeptiert, sogar von der Fed. Wir behalten jedoch die oben erwähnten mittelfristigen Faktoren im Hinterkopf, die sehr wahrscheinlich weiterhin für hohen Preissteigerungsdruck sorgen werden und den Langzeitfaktoren einer Desinflation oder Deflation gegenüberstehen. Dieses Tauziehen wird weitergehen und sich nur langsam entscheiden, denn kurzfristig überfluten die Zentralbanken die Märkte weiterhin mit Liquidität.

In der Zwischenzeit sehen sich die Anleger mit mehreren Herausforderungen konfrontiert: das Ausmass des Preissteigerungsdrucks und die Reaktionen der Zentralbanken, eine mögliche Fehlentscheidung der Fed, das Timing der Normalisierung der Geldpolitik in den USA und die Vorhersage der Korrelationsschwankungen zwischen den Anleihen- und den Aktienmärkten.

In der Vergangenheit hat eine höhere Inflation zu niedrigeren Realrenditen geführt und wir glauben, dass dies wieder der Fall sein wird. Angesichts des schwierigen Ausblicks würden wir Anlegern empfehlen, eher in die Wachstums- und Ertragssegmente des Marktes zu investieren, bei vorsichtiger Durationspositionierung, und das Exposure in überlaufenen und überbewerteten Segmenten zu reduzieren, insbesondere im Hinblick auf die in den kommenden Monaten bevorstehende sinkende Liquidität.

 

Quellen

 Der neutrale Zinssatz (neutral Fed funds rate) bezeichnet den Leitzinssatz der Fed, bei dem die Wirtschaft ceteris paribus weder wächst noch schrumpft.
 Der Terminal-Zinssatz (terminal Fed funds rate) entspricht dem höchsten Leitzins der Fed innerhalb eines monetären Zyklus.
 Angola beispielsweise hat aufgrund des haushaltspolitischen Drucks im Land wenig Kapazitäten, um in eine Produktionserhöhung zu investieren oder auch nur das eigene Produktionsniveau dauerhaft aufrechtzuerhalten.
 Wie expansiv die Haushaltspolitik sein wird, wird auch von den Zwischenwahlen in den USA Ende 2022 abhängen. Mehr Kontrolle der Demokraten im Kongress würde den Beschluss solcher Massnahmen erleichtern.

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